Symposium 2019
SENSING – Fragmentierte Zonen des Übergangs
Symposium des Forschungskollegs „SENSING: Zum Wissen sensibler Medien“
Wahrnehmen, Erfahren, Wissen, Bedeutung und Verhalten werden heute mehr und mehr über sensorische Medien bestimmt. Der Begriff „Sensing“ umreißt die daraus resultierenden Geflechte aus humanem und technischem Erfassen und Empfinden, deren Wechselwirkungen, Übertragungen und Übergänge. Sensing steht daher auch für eine Neubewertung von Kategorien wie Fühlen, Agentialität und Bewusstsein sowie Mensch, Medium und Maschine. Das erste Symposium des Forschungskollegs stellt die Frage nach fragmentierten Übergangszonen in den Mittelpunkt: Welche Verbindungen, Verschaltungen, Kopplungen lassen sich ausmachen? Wo entstehen Unterbrechungen, Fehlschlüsse und Beschränkungen entstehen? Welche neuen Wahrnehmungsweisen eröffnen sich und welches spezifische Wissen wird dabei erzeugt?
Datum:
20. bis 21. Juni 2019
Ort:
Fachhochschule Potsdam
Kiepenheuerallee 5
Haus D/Hörsaal
14469 Potsdam
Anfahrt
Pressemitteilung:
Universität Potsdam
Programm
DONNERSTAG, 20.06.2019
14.00–14.30
Begrüßung und Einführung
durch Marie-Luise Angerer (Sprecherin des Forschungskollegs SENSING), Robert Seckler (Vizepräsident für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs der Universität Potsdam), Eva Schmitt-Rodermund (Präsidentin der Fachhochschule Potsdam) und Jens Eder (Vizepräsident für Forschung und Transfer der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF)
14.30–15.15
„Technosensorische Praktiken des Hörens“
Beate Ochsner (Universität Konstanz)
Neue Technologien verstärken, erweitern oder reproduzieren unsere sinnlichen Erfahrungen nicht nur, vielmehr entstehen im Zusammenspiel zwischen zunehmender Digitalisierung, sensorischen Erfahrungen, Körpern, Materialitäten und Praktiken, Unternehmen und Institutionen komplexe techno-sensorische Assemblagen, aus denen entsprechend neue Formen und Normen sowie neues Wissen über dasjenige emergieren, was wir als sinnliche Wahrnehmung bezeichnen. Im Rahmen eines kontinuierlich wachsenden und sich ausdifferenzierenden Marktes digitaler Hörtechnologien lassen sich die vielfältigen Verschaltungen von sensorischer Erfahrung, Denken und Leben mit technischen Apparaten, Technologien und Umwelten besonders gut beobachten. ‚Hören‘ wie auch das Wissen darüber wird dabei zunehmend als Produkt(ion) techno-ökologischer Interfacing-Prozesse ins Werk gesetzt, das/die es anhand ausgewählter Praktiken zwischen Autonomiezuwachs und Disziplinierung, zwischen Customization, Personalization und und neuer Normierung zu analysieren gilt.
Kurzbiographie
Beate Ochsner ist Professorin für Medienwissenschaft an der Universität Konstanz. Sie ist Sprecherin der DFG-Forschungsgruppe „Mediale Teilhabe. Partizipation zwischen Anspruch und Inanspruchnahme“. Ihre Forschungsschwerpunkte sind mediale Teilhabeprozesse, audiovisuelle Produktion von Dis/Ability, Praktiken des Hörens und Sehens und akustische Ökologien. Zusammen mit Robert Stock ist sie Herausgeberin des Sammelbandes senseAbility – Mediale Praktiken des Sehens und Hörens (transcript 2016). Letzte Veröffentlichungen: “Human, Non-Human, and Beyond: Cochlear Implants in Socio-Technological Environments” (NanoEthics 9(3) 2015, s.p-, Ko-Autorin); „Oikos und Oikonomia oder: Selbstsorge-Apps als Technologien der Haushaltung‘ (Internationales Jahrbuch für Medienphilosophie 4 (2018), S. 123-147), „AudioVisual Accessibility (Ava) oder: Zur Herstellung prekärer Kommunikationsgemeinschaften“ (Johannes Bennke, Johanna Seifert, Martin Siegler, Christina Terberl (Hg.): Das Mit-Sein der Medien. Prekäre Koexistenzen von Menschen, Maschinen und Algorithmen, Paderborn: Fink 2018, S. 121-147).
15.15–16.00
„Tasten, Riechen, Schmecken: Modalitäten des Ambienten“
Stefan Rieger (Ruhr-Universität Bochum)
Die gegenwärtige Lage der Medien geht oftmals einher mit Figuren der Restitution – etwa der eines als ‚ganzheitlich’ konzeptualisierten Körpers, den es im Zuge von technischer Sinnlichkeitsstrategien wieder in sein Recht zu setzen gilt. Immer wieder wird im Zuge von Naturalisierungsgesten und Intuitionsoffensiven, etwa in der Gestaltung von Interfaces, das Phantasma virulent, diesen Körper in den medialen Umwelten zu adressieren – nach Maßgaben der Vollständigkeit. In der Kulturgeschichte wenig geschätzten Sinne wie das Tasten, Riechen und Schmecken kommt im Zuge des ihnen zugewiesenen Affektpotentials eine besondere Rolle zu. Der Beitrag will sowohl den praktischen Möglichkeiten als auch den damit einhergehenden Umstellungen in der Kommunikation nachgehen. Fast scheint es, als ob mit den Modalitäten des Ambienten bestimmten Formen der Rationalität sowie einer Logik unablässiger Steigerung von Komplexität Einhalt geboten wäre, als ob sich andere und alternative Formen des sensing und des interfacing Bahn brechen würden. Betroffen davon sind nicht nur bestimmte Phänomenbereiche und ihre jeweiligen Aktanten, sondern auch die zugehörigen Wissensformen.
Kurzbiographie
Stefan Rieger, Studium der Germanistik und Philosophie. Promotion über barocke Datenverarbeitung und Mnemotechnik, Habilitationsschrift zum Verhältnis von Medien und Anthropologie (Die Individualität der Medien. Eine Geschichte der Wissenschaften vom Menschen, Frankfurt/M. 2001). Aktuelle Arbeits- und Publikationsschwerpunkte: Wissenschaftsgeschichte, Medientheorie und Kulturtechniken.
Seit 2007 Professor für Mediengeschichte an der Ruhr-Universität Bochum.
Jüngste Buchveröffentlichungen zusammen mit Benjamin Bühler, Bunte Steine. Ein Lapidarium des Wissens sowie Kultur. Ein Machinarium des Wissens (jeweils Berlin: Suhrkamp 2014) sowie Die Enden des Körpers. Versuch einer negativen Prothetik, Wiesbaden: Springer.
16.00–16.15
Kaffeepause
16.15–17.00
„Patterns that Perpetuate: Sensors, Tracking and Unquantified Selves“
Chris Salter (Concordia University/Hexagram/Milieux Institute for Arts, Culture and Technology)
From microphones hidden in thermostats to cameras spying on us from office furniture, it seems that the more connectivity we have in the wireless worlds of sensor-augmented things, the more characteristics we have as humans we freely give up – privacy, autonomy, self-organization, meaning production. As advances in sensing, signal processing and machine learning become ever more sophisticated, leaving the laboratory at record speed to join the arsenals of the FANG (Facebook, Amazon, Netflix, Google) companies, the techniques for tracking us quickly are seeing the light of day. But who or what are these systems tracking and how do they do it? What patterns arise and are these patterns already „in the world“ or simply the by product of artificial statistical processes? Finally and perhaps most importantly, do such technical sensing systems reconfigure traits traditionally assigned to us as humans such as sensing, perception and awareness and if they do, then what relationship will our own biologically evolved sensing systems we have with our technological others that increasingly inhabit the earth?
Kurzbiographie
Chris Salter is an artist, University Research Chair in New Media, Technology and the Senses at Concordia University and Co-Director of the Hexagram network for Research-Creation in Media Arts and Technology in Montreal. He studied philosophy and economics at Emory University and completed a PhD in directing/dramatic criticism at Stanford University where he also researched and studied at CCMRA. In the 1990s, he collaborated with Peter Sellars and William Forsythe/Frankfurt Ballet in Salzburg, Paris, and London. His artistic work has been seen in festivals and exhibitions all over the including the Venice Biennale. He is the author of Entangled: Technology and the Transformation of Performance (MIT Press, 2010) and Alien Agency: Experimental Encounters with Art in the Making (MIT Press, 2015). He is creative consultant for the Barbican Centre’s (London) 2019 thematic season: Life Rewired. He is currently working on a book focused on how we make sense in an age of sensors, algorithms, machine learning and quantification.
17.00–17.45
„Der ultrahaptische Raum. Körperhafte Erfahrungen in Virtual-Reality-Szenarien“
Carolin Höfler (TH Köln)
Aktuelle medientechnische Bestrebungen sind vom Ziel geleitet, die visuelle Wahrnehmung digitaler 3D-Welten durch zueinander passende und einander ergänzende Tasteindrücke zu verstärken. Hierbei gewinnt die tatsächliche oder vermeintliche Berührung von materiellen Strukturen und Texturen zunehmend an Bedeutung, vor allem dann, wenn die unmittelbare Sicht auf die zu ertastenden Dinge genommen wird. Obgleich Virtual Reality-Hersteller den „totalen Angriff auf alle Sinne“ versprechen, bleibt die Konstruktion (ultra-)haptischer Schnittstellen weiterhin von einer tradierten Sinneshierarchie und Sinneszersplitterung geprägt: Der das Display tragende Rezipient ordnet das physisch Ertastete den virtuellen Sehformen unter. Mit Blick hierauf bieten die Tastexperimente aus dem Vorkurs von László Moholy-Nagy am Bauhaus ein geradezu subversives Programm an. Denn sie fokussieren nicht nur eine Mobilisierung aller Sinnesmodalitäten, sondern auch einen Wahrnehmungsakt, in dem die tradierte Sinneshierarchie ausgehoben wird. Mit einer solchen Abkehr von der Sinneshierarchie könnte eine produktive Umorientierung virtueller Gestaltung stattfinden: weg von dem Zwang, eine täuschend echte Darstellung von Wirklichkeit zu erzeugen, und hin zu dem Versuch, eine unmittelbare Kommunikation zwischen Körpern und Materialien zu ermöglichen, die zugleich ihre Vermitteltheit offenlegt.
Kurzbiografie
Carolin Höfler ist seit 2013 Professorin für Designtheorie und -forschung an der Köln International School of Design der TH Köln und leitet seit 2018 die Forschungsstelle „Echtzeitstadt“. Sie studierte Kunstgeschichte, Neuere Deutsche Literatur und Theaterwissenschaft (Magister) sowie Architektur (TU Diplom) an den Universitäten in Köln, Wien und Berlin. 2009 promovierte sie mit der Arbeit „Form und Zeit. Computerbasiertes Entwerfen in der Architektur“ an der Humboldt-Universität zu Berlin. Bis 2013 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Mediales Entwerfen der TU Braunschweig. Seit 2014 ist sie Partnerin bei „oza _studio for architecture and scenography“ in Berlin.
Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Geschichte und Theorie des Entwerfens, Architektur und Bildwissenschaft, Räumlichkeit und Medialität sowie ephemerer Urbanismus.
17.45–18.15
Gemeinsame Diskussion
FREITAG, 21.06.2019
10.00–10.45
„Intraface. Texturen eines be-greifbar Technischen“
Léa Perraudin (Universität zu Köln)
Wird die Umgebung flächendeckend zur Domäne des Technischen erklärt, sind Anschlussfragen an die Art und Intensität der Begegnungen von Gerät und Nutzer*in virulent. Es besteht gleichermaßen Klärungsbedarf über die Zugänge, die sie erzeugen sowie die Ausschlüsse, die mit ihnen einhergehen. Hier sind Formen der Bezugnahme auf und Intervention gegen das größtmögliche ‚Innen‘ der Technologie (dessen Teil wir nun selbst sind) zu sondieren, die sich in Konsequenz von einem anthropomorphen, prothetisch operierenden Technikbegriff entfernen.
Der Vortrag nimmt technische Phänomene in den Blick, die nicht binär zwischen Innen und Außen unterscheiden, die sich also einem monokausalen Verständnis der Schnittstelle, des ‚Inter‘ verstellen, um Begriffe des Interface und der Interaktion neu befragen. In der Arbeit mit spekulativen Schnittstellensituationen exponieren aktuelle Praktiken im experimentellen Interfacedesign (insbesondere im Feld der Tangible Interaction) eine spezifische Begegnung mit Technik und Technologie. Da sie sowohl in Bezug auf das technische Einzelartefakt als auch auf deren technologische Makrostruktur durchdrungene Momente der Involvierung stiften, lässt sich ihr Potential nicht mit etablierten Interaktionstheorien analysieren. In seinen ergebnisoffenen Materialstudien stellt das experimentelle Interfacedesign das verlustfrei vernetzte, metallisch cleane und berechenbare Ideal von Technik zur Disposition. Es bringt demgegenüber etwa zähflüssige Substanzen, Schaum und Granulat als Materialitäten des Involviertseins zur Anwendung und exponiert die klebrigen, metastabilen, partikelhaften Attribute eines be-greifbar Technischen. Zur Diskussion dieser Dynamik stelle ich das Modell des Intraface vor.
Als Symptom einer ökologischen Wende des Medialen verstanden, rücken hier verschiedene Formen eines Denkens mit den Elementen Wasser, Erde und Luft und ihren mannigfaltigen Amalgamierungen in den Blick. Die Elemente machen sich in der Technosphäre, wie ich vorschlage, als kontraintuitiv anmutende nicht-natürliche Stoffe einer prozessual-relationalen Reevaluation des Medialen verdient. Ihre Widerständigkeiten und Widersprüchlichkeiten scheinen aus den in sich selbst durchdrungenen Dynamiken zeitgenössischer Kulturen des Technischen hervorzugehen und fordern andere Öffnungen ein, um sich mit neuen Schnittflächen ausgestattet, im Modus des ‚Intra‘ zu situieren.
Kurzbiographie
Léa Perraudin ist Medienkulturwissenschaftlerin und als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln tätig. Zuvor war sie von 2014-2019 wissenschaftliche Mirarbeiterin am Zentrum für Medienwissenschaften und Moderneforschung (MeMo) der Universität zu Köln sowie von 2012-2017 Lehrbeauftragte und Projektmitarbeiterin für reflexives Schreiben an der Münster School of Design (Projekt ”Wandel bewegt”, gefördert durch den Qualitätspakt Lehre des BMBF). Nach dem Studium der Kulturanthropologie, Philosophie und Medienkulturanalyse in Frankfurt am Main und Düsseldort hat sie als Kollegiatin der a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne kürzlich ihre Dissertation zum Thema „Playful, entangled, messy: Mediale Begegnungen in der Technosphäre“ fertiggestellt. Ihre Forschung setzt sich schwerpunktmäßig mit Medienökologien, Theorie und Ästhetik des Anthropozäns, Theorien des Spiels und experimentellen Kulturen in Kunst und Design auseinander.
10.45–11.30
„Sensor/Algorithmen – Zu den environments autonomer Fahrzeuge“
Florian Sprenger (Goethe-Universität Frankfurt am Main)
Die autonomen Technologien der Gegenwart – von Drohnen über Roboter bis hin zu selbstfahrenden Autos – operieren auf der Grundlage einer neuartigen Verschränkung einer Vielfalt sensorischer Technologien mit Filteralgorithmen, die es erlauben, aus Sensordaten die Probabilistik eines Modells des environments zu erstellen. Ein autonomes Fahrzeug hat keinen Zugriff auf einen Blick von außen, sondern muss seinen eigenen Ort und mögliche Reaktionen auf seine Umgebung durch technische Verfahren der Sensorik, Bilderkennung und Datenauswertung ständig neu berechnen. Das Problem, das sich damit stellt, wird in der Robotik und der KI-Forschung um 1990 unter dem Namen Simultaneous Location and Mapping(SLAM) verhandelt: Die Ausgangsbedingung eines Roboters besteht im Nicht-Wissen über sein environment. Alle Daten, die er sensorisch über dieses sammelt, sind relativ zu seiner eigenen Position und damit abhängig von seiner Lokalisierung, deren Berechnung wiederum nötig ist, um sich auf der zu erstellenden Karte zu verorten. Der Vortrag stellt diese Verfahren in den historischen Kontext der Erforschung autonomer Systeme und zeigt, dass Sensoren und Algorithmen nicht auf die Kartographierung einer Ontologie ausgerichtet sind, sondern auf die sich ständig wandelnden Relationen eines virtuellen environments.
Kurzbiographie
Florian Sprenger hat Medienwissenschaft und Philosophie in Bochum und Weimar studiert. Seit 2016 ist er Juniorprofessor für Medienkulturwissenschaft an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Zuvor war er PostDoc am Digital Cultures Research Lab der Leuphana Universität Lüneburg sowie Visiting Scholar an der Stanford University. Er forscht zur Geschichte künstlicher Umgebungen, zur Genealogie der Medientheorie und zu Begriffen autonomer Technologien. Letzte Buchveröffentlichungen: Politik der Mikroentscheidung. Edward Snowden, Netzneutralität und die Architekturen des Internets. Meson Press, Lüneburg 2015; (mit Christoph Engemann) Internet der Dinge. Über smarte Objekte, intelligente Umgebungen und die technische Durchdringung der Welt. Transcript, Bielefeld 2015; (mit Briankle Chang) Thinking Media and Beyond. Cultural Studies 1/2016.
11.30–11.45
Kaffeepause
11.45–13.00
Gemeinsame Abschlussdiskussion
13.00–14.00
Mittagessen und Ausklang
Sprecher*innen:
Beate Ochsner, Stefan Rieger, Chris Salter, Carolin Höfler, Léa Perraudin, Florian Sprenger