Grundunbestimmtheiten. Die gegenwärtige Revitalisierung von Ontologie und die Frage von Alterität
Die aktuelle Neuverhandlung von Ontologie hat einen entscheidenden Charakterzug in ihrem Umgang mit der Idee von Unbestimmtheit. Als Signatur für prinzipielle Nicht-Festgelegtheit, Offenheit und Wandelbarkeit wird Unbestimmtheit besonders im Zuge neo-materialistischer Umwälzungen der humanities sowie einer rehabilitierten Ausrichtung an naturwissenschaftliche Einsichten vermehrt in die Natur der Realität überhaupt verlegt. Affirmiert wird so eine strukturelle Unabgeschlossenheit der Dinge und Körper, nicht selten, wie beispielsweise in Karen Barads Quantenadressierung des ‚Nichts‘, über eine Betonung der Generativität und Potenzialität von Materie selbst. Daraus resultiert eine posthumanistische Ab- beziehungsweise Ungründigkeit, die noch die sozialtheoretische Kontingenzthese auf anderer Grundlage und mit veränderten ontologischen Maßgaben verhandelt. Der mit einem solchen Unbestimmtheitspostulat verbundene kritische Einsatz verdeutlicht sich dabei in der Übersetzung alteritätstheoretischer Überlegungen. Der Anspruch eines gegenüber souveräner Verfügung inkommensurablen, unergründlichen, sogar unbestimmten ‚Anderen‘ soll hier mit der Annahme speziesübergreifender Werdenspotenziale eingeholt werden: durch ein unkontrollierbares ‚Mehr‘, das in die Konstitution aller Wesen jenseits ihrer konkreten Erscheinungsform eingeschrieben ist. Die aktuelle Ontologisierung von Unbestimmtheit ist damit entscheidend für den Gedanken einer offenen, mehr-als-menschlichen Relationalität, mithin ebenfalls für die revitalisierte Idee vorbewusster Intimität und Sozialität sowie Sinn- und Sinnlichkeitsstiftung abseits eines selbst-sicheren Humanen. Sie impliziert so ethische und politische Volten, deren Implikationen zu befragen sind – auch in ihrer Positionierung als adäquate Antwort auf krisen- und katastrophenförmige Gegenwartslagen sowie auf eine davon nicht loszulösende technologische Durchdringung von Existenz, Welt und Natur.
Kurzbiographie
Christian Schwinghammer studierte Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Politische Theorie an der FU Berlin. In seiner Abschlussarbeit befasste er sich mit der Thematik ‚ontologischer Politik‘ unter Bezugnahme auf Differenzphilosophien des 20. Jahrhunderts, postfundamentalistische Perspektiven und Theorien des Neuen Materialismus. Seit Herbst 2018 ist er Doktorand des Forschungskolleg SENSING: Zum Wissen sensibler Medien am Brandenburgischen Zentrum für Medienwissenschaften (ZeM). Seine Forschungsschwerpunkte umfassen aktuelle Neuverhandlungen von Ontologie und Metaphysik, Poststrukturalismus, Alteritäts- und Differenzphilosophien des 20. Jahrhunderts, Körper- und Affekttheorien, Technikphilosophie und Medienästhetik.